56 | BOLD THE MAGAZINE Kunst & Kultur | Zeit der Erinnerung Zeit der erinnerung joachim seinfeld Autor: H. G. Teiner Die Ausstellung mit dem Titel „Neighbours“ zeigt Arbeiten des Künstlers Joachim Seinfeld: Die schwerelose Anmutung historischer Schwarz/Weiß- Fotografien mit ihrer besonderen Aura und bestechender Patina erreicht den Betrachter direkt und emotional, ohne dass der Umweg erklärend-konstruierender Gedanken beschritten werden muss. Das Betrachten seiner Bildwerke gleicht einer meditativen Erfahrung – einer Zeitreise. Welche Menschen sind auf den Bildern zu sehen? Was lösen die eigenen Emotionen und Erinnerungen aus? Es gibt eine transformierend wirkende Sehnsucht in den Bildern, sie gewähren bewusste und unbewusste Einblicke in eine vergessene oder gar verdrängte Zeit. ABBILDER des LEBENs Die Bilder enthalten den magischen Moment historischer Aufnahmen einer Stativ-Plattenkamera, wie bei „Neighbours“ (siehe Bild rechts), in anderen Bildern ist der spontane Schnappschuss mit einer Leica-Suchercamera oder einer Kamerabox eingefangen, wie z. B. in den Berliner Motiven. Der besondere Sekundenbruchteil, in dem dieser Augenblick im Leben der Abgebildeten auf einer silberbeschichteten Fotoplatte oder auf Schwarz/Weiß-Film eingefangen wurde, wird beim Betrachten erneut lebendig. Eine verblasste Erinnerung, die für einen Moment dem Vergessen entrissen wird. Die Aufnahmen beinhalten die Aura des Vergangenen, das Leben besteht immer auch aus Sterben. Die Fotografie ändert dies nicht, lässt uns jedoch innerlich lächeln, in einem Augenblick der Betrachtung, in dem die Zeit uns ihre versöhnliche Seite offenbart. „Ein ständig komplexer werdendes Wirklichkeitsbewusstsein schafft seine eigenen kompensatorischen Leidenschaften und Vereinfachungen, deren verführerischste das Bildermachen ist. Es ist, als reagierten die Fotografen auf ein zunehmend erschöpftes Wirklichkeitsbewusstsein mit der Suche nach einer Transfusion – sie reisen neuen Erfahrungen entgegen und frischen die alten auf.“ (Susan Sontag in „Über Fotografie“, 1978) Die Bilder sind von einer luziden Tranzparenz gekennzeichnet, welche die unwirkliche Fassbarkeit der Vergan- genheit zu einer wahren Geschichte im Augenblick des Betrachtens gerinnen lässt. Durch das Erahnen des Zeitkontextes der Bildinhalte ergeben sich assoziativ weitergehende Einblicke, aus denen sich mehr Fragen ergeben, als sie Antworten anbieten wollen. ENT- DECKUNGEN Seinfelds Bilder transportieren vielfältige, sich überlagernde Bedeutungs- und Erinnerungsebenen ins Material: Historische Fotomotive und Porträts werden mit Fotolabor-Technik der vergangenen Analog-Ära auf gewachsene Schichten von in Generationen abgewohnten Wandbelägen aufgebracht. Die dadurch entstehende dreidimensionale Oberflächenstruktur reflektiert die inhaltliche Tiefe auf den Betrachter. Die auf den ersten Blick dekorativ in Erscheinung tretende Oberfläche ist Teil eines Kunstgriffs: Die Wirksamkeit des Eindrucks reicht dahinter weit ins Gemüt des Betrachters hinein. Die Spurensuche nach der vergessenen oder verlorenen Identität kann beginnen und kann zum eigenen Wesen hinführen.
BOLD THE MAGAZINE | 57 „Neighbours“ Budapest: Nyár utca 4-IV (2010) Brom-Silber-Gelatine auf alten Wandanstrichen auf Leinwand.
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