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BOLD THE MAGAZINE No.42

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INSPIRATION SPECIAL TOPIC: CAR | IM INTERVIEW: ANTONIO BANDERAS | DER NEUE OPEL CORSA-E | FOTOGRAF RÉHAHN | VIETNAM | BARBADOS | PHILIPPINEN | SWATCH BIG BOLD COLLECTION | AUTORIN TESS SHARPE

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42 // BOLD THE MAGAZINE LESENSWERT / RIVER OF VIOLENCE nicht merken zu lassen. Statt wie sonst vor dem Haus anzuhalten, fährt Daddy auf dem Holperweg unter dem Baum durch zur Scheune und hält direkt vor dem Tor. Der Bewegungsmelder reagiert sofort, das Scheunenlicht geht an. Aus der Entfernung beobachte ich, wie die Scheinwerfer ausgehen und er aus dem Wagen steigt. Immerhin hat er nicht so viel getrunken, dass er taumelt, aber vielleicht hat er seine Sachen trotzdem vollgekotzt, so wie letzte Woche, das kann ich von hier aus nicht erkennen. Ich will schon vom Baum klettern, da sehe ich, dass er nicht zum Haus geht, sondern rüber zur Beifahrertür, die er mit einem Ruck aufzieht. Ich blinzele durch die Dunkelheit. Jetzt ist er im Schatten und kaum mehr zu sehen, aber er hievt irgendwas Großes aus dem Wagen. Als er das Scheunentor öffnet, tritt er für einen Moment lang ins Licht. Ein Schein fällt auf die Schwelle und kurz kann ich Männerfüße sehen, die über den Scheunenboden gezerrt werden. Dann knallt das Tor zu. Mein Atem geht schnell und hart, drückt meinen Bauch gegen die raue Rinde. Meine Finger krallen sich um den Ast, mein Herz hämmert, alles dreht sich. Ich wünsche mir eine Höhlung im Stamm der Eiche, will mich verstecken wie ein Specht oder ein Eichhörnchen. Ich versuche mir einzureden, ich hätte mich getäuscht. Aber tief drinnen weiß ich es besser. Ein paar Minuten später – es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, mein Atem und das Grillengezirpe hallen mir in den Ohren – geht das Licht vor dem Scheunentor aus. Finsternis kriecht durch die Bäume, breitet sich überall aus. Ich könnte jetzt runterklettern, in mein Zimmer rennen, die Tür zumachen, mir die Bettdecke über den Kopf ziehen und so tun, als hätte ich nie gesehen, wie diese Füße über den Boden geschleift sind. Aber das tue ich nicht. Stattdessen klettere ich vom Baum und gehe auf die Scheune zu. Es wäre leicht, im Nachhinein zu behaupten, dass diese Entscheidung ein Fehler war, aber das ist Unsinn. Auf irgendeine Art musste ich es ja erfahren. Was er war. Und was ich werden würde. Das hier ist eben meine Art gewesen. Ich schleiche also zur Rückseite der Scheune, wo lauter Astlöcher in den Zedernholzbrettern sind. Man sieht kaum etwas durch diese Dinger, aber besser geht es nicht. Ich knie mich hin, sodass ich durch das größte Loch spähen kann, das ich finde. Mein Atem geht immer noch keuchend, das Herz pocht kaninchenschnell in meiner Brust und mein Mund ist trocken. Zuerst sehe ich Daddy gar nicht. Da ist nur der alte Traktor, der seit Ewigkeiten hier rumsteht, und der Quad, den Daddy letztes Jahr geschrottet hat. An einem Balken hängt eine kahle Glühbirne. Ich beobachte, wie sie an ihrem orangen Kabel ein wenig hin und her schwingt, und auf einmal höre ich sie – seine Stimme. »Du sagst mir jetzt, was ich wissen will«, fordert Daddy. Ich höre ihn rumkramen, anscheinend holt er etwas aus der Werkzeugkiste. Nach ein paar Sekunden taucht er in meinem Blickfeld auf, einen Schraubenzieher in der Hand. Lange Schatten fallen über ihn, während er sich von meinem Versteck entfernt und den Schraubenzieher dabei immer wieder in der Hand dreht. Dann verschwindet er hinter dem Traktor, ich kann ihn nicht mehr sehen. Ein Stöhnen erfüllt die Luft. Es kommt nicht von Daddy. Sondern von dem Mann, den er hierhergebracht hat. Wer immer das ist, er stöhnt vor Schmerz. Daddy tut ihm weh. Dass Daddys Hände, die so groß und stark und schwielig sind und mich so gut umarmen und an den Zöpfen ziehen können, einem Menschen wehtun, ist eine seltsame Vorstellung. »Du sagst mir, was ich wissen will«, wiederholt Daddy. »Freiwillig oder auf die harte Tour. Deine Entscheidung, Ben.« »Fick dich«, keucht die zweite Stimme – die von Ben. »Spuck’s aus.« »Scheiße, ich sag dir gar nichts.« Ein feuchtes Geräusch, irgendwas zwischen Husten und Würgen. Kommt da Spucke hoch oder eher Blut? »Wie du willst«, sagt Daddy. Verschwommene Schatten strecken sich über den Traktor, ich sehe einen Arm vorschießen, schnell und entschieden. Und dann dieses Geräusch, ein heftiges Aufstöhnen mit zusammengebissenen Zähnen, so grässlich, dass sich mir die Nackenhaare aufstellen.

LESENSWERT / RIVER OF VIOLENCE BOLD THE MAGAZINE // 43 »Der bleibt drin, bis du ausspuckst, was ich wissen will«, sagt Daddy und ich begreife, dass er den Schraubenzieher meint. Schwarze Punkte tanzen vor meinen Augen. Ich muss mich mit beiden Händen auf dem Boden abstützen. Wenn ich mich nicht zusammenreiße und ganz langsam atme, kippe ich garantiert um. Meine Augäpfel fühlen sich an, als würden sie gleich rausspringen, mein Gesicht ist fest an das raue Brett gepresst. Ich will wegrennen. Aber ich muss hierbleiben und mitkriegen, was passiert. »Sag’s mir«, wiederholt Daddy. »Nein.« Daddy richtet sich auf, ich kann ihn jetzt direkt sehen. Er greift in seine Hosentasche und zieht das Messer mit dem Geweihgriff heraus, das er jeden Sonntag schärft. Lässt die Klinge herausspringen – zwanzig Zentimeter tödlicher Stahl, der im Scheunenlicht aufblitzt – und prüft sie am Daumennagel. »Dann versuchen wir’s eben anders.« Daddy kniet sich wieder hin und verschwindet aus meinem Blickfeld, aber ich sehe an dem verschwommenen Schatten seines Arms, wie er ausholt und zustößt. Der Laut, der aus Ben kommt, ist diesmal noch schlimmer, keine zusammengebissenen Zähne, kein Versuch, den Schrei zu unterdrücken. Ich mache die Augen nicht zu, verstecke nicht mein Gesicht, tue nichts von dem, was ich tun sollte. Im Gegenteil, ich reiße die Augen weit auf. Ich habe das Gefühl, zum ersten Mal überhaupt so genau hinzusehen. »Sag’s mir«, verlangt Daddy, als Bens Schrei zu einem Wimmern abebbt. »Geht nicht«, keucht Ben. »Der macht mich kalt.« »Ihr Springfields, ihr habt echt nicht viel Grips erwischt, was?«, spottet Daddy. »Was meinst du wohl, was ich mache, wenn du mir nicht sagst, wo er ist?« »Bitte. Ich tue alles – Geld, Huren, Drogen, was immer du willst, Duke, ich …« Ein Aufbrüllen, aber ich kann nicht sehen, was Daddy ihm antut. Ich presse die Lippen zusammen, um die aufsteigende Übelkeit wegzudrücken, und höre wieder Daddys Stimme: »Sag’s mir.« Er scheint nur noch diese beiden Wörter zu kennen. »Angggghh«, lallt Ben und ringt um Luft. »Bitte. Bitte.« »Sag’s mir.« »Geht nicht. Carl ist mein Bruder.« Bens linker Fuß zuckt, wie wenn er sich losreißen wollte. Ich sehe überhaupt nur seine Füße, der Rest ist hinter dem Traktor versteckt, und starre unentwegt seine Stiefel an. Daddy hat die gleichen. Momma hat sie ihm letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt. Ich hab ihr beim Einpacken geholfen. »Sag mir, wo Springfield ist«, beharrt Daddy. »Oder ich schnapp mir Caroline. Was hältst du davon? Ist dir dein Bruder das wert? Hat ziemlich scharf ausgesehen, deine Frau, als ich sie neulich mal zu Gesicht gekriegt hab. Kann sein, ich lass mir Zeit.« Ich bin zu jung, um zu begreifen, was er damit meint. Später, als ich es dann begreife, bin ich entsetzt. Und rede mir ein, er hätte nur geblufft. Ich will nicht glauben, dass er zu dieser Sorte Mann gehört. Aber vielleicht tut er das doch, die Möglichkeit steht greifbar vor mir. »Nein«, sagt Ben schwach. »Nicht Caroline. Bitte.« »Dann sag’s mir«, fordert Daddy. »Wenn du’s tust, lass ich sie in Ruhe und deine Jungs auch. Sie sind in Sicherheit vor mir und meinen Leuten. Ich will bloß Springfield.« »Scheiße, Scheiße … Carl ist in Manton. Exit 34 am alten Highway. Das Haus hinten am Hell’s Pass. Aber lass verdammt noch mal die Finger von meiner Familie, du Scheißkerl!« Daddy hebt sich von den Knien und rückt jetzt wieder in mein Blickfeld. »Danke.« Er bewegt sich blitzschnell, so vertraut ist ihm der Griff. Seine Hände – und die Waffe – scheinen zu verschwimmen. So laut, so furchtbar laut – der Schuss rammt

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