34 // BOLD THE MAGAZINE DESIGN / LEGENDEN UND IKONEN lichkeit allein durch ihre Präsenz wecken, meinte er, und damit hatte er Recht: „Ein Jaguar muss innovativ, aufregend und stets unverwechselbar sein. Ein Jaguar muss die Menschen dazu bringen, beim Vorbeifahren den Kopf nach ihm umzudrehen, weil er eine so starke Ausstrahlung hat. Das Design eines Jaguar muss unabhängig von allen Modeströmungen zeitlos bleiben und noch nach Jahren so begeistern wie am Tag seiner ersten Vorstellung.“ Das traf auf den E-Type voll zu. Sein Glück war zudem, dass er zu einer Zeit kam, als in seinem Geburtsland Modernität und Hedonismus gefeiert wurde mit einem Epizentrum namens Soho, einem Londoner Stadtteil. Hier ließen sich ab den 1950er Jahren besonders viele Jamaikaner nieder und lieferten die Basis für den Aufbau eines urbanen Nachkriegs- London mit einer neuen Art von Jugendkultur in Sachen Musik, Mode, Fotografien und Filmen, begleitet von einer Revolte gegen das Establishment. Besonders die Carnaby Street – gebaut 1685 und benannt nach dem Karnaby House in der Gegend (damals noch mit K) – mutierte zum Treffpunkt der jungen Kreativen. Der erste Modeladen eröffnete bereits 1957. Im April 1966 machte die berühmte „Lady Jane“ dort ihre Türen auf, die erste reine Frauen-Modeboutique. Für Publicity sorgte der Gag, dass zur Eröffnung drei Tage lang wechselnde und lebende Models im Schaufenster leicht bekleidet Klamotten und Accessoires zeigten. Es folgten berühmte Boutiquen, bei denen allein schon die Namen für Aufmerksamkeit sorgten wie „Domino Male“, „Tre Camp“ und „I was Kitcheners Valet“. Es galt: Hauptsache auffallen, egal wie. Boutiquebesitzer Irvine Sellar zum Beispiel war sich nicht zu schade, zur Eröffnung seines Ladens „Tom Cat“ in der Carnaby Street auf einer Vespa zu posieren nebst Model Christine Spooner und einem echten Geparden. Gern gesehener Gast war hier unter anderem Sänger Tom Jones, der sich – wie viele andere – vom Leben in der Carnaby Street inspirieren ließ. Und wer dort oder über die King‘s Road im Jaguar E-Type defilierte, setzte damit nicht nur ein Fashion-Statement, sondern zeigte auch ganz offen: „Schaut her, ich hab’s geschafft!“ Auf dem Stand in Genf gingen schon kurz nach der Enthüllung 500 Bestellungen für den E-Type ein. Kein Wunder, war er doch nur halb so teuer wie ein Aston Martin DB4 oder Ferrari 250 GT – in Deutschland wurden umgerechnet 25.000 Mark gefordert. Es war eine rebellische und freizügige Epoche, die da anbrach. Der Piratensender Radio Caroline sendete Musik von zwei auf See ankernden Senderschiffen und auf der London Motor Show scheuten sich Autohersteller nicht davor, Modells neben ihren Neuheiten posieren zu lassen, die viel leichter als nur leicht bekleidet waren. Da passte der E-Type, purer Sex auf Rädern, perfekt dazu. Sein Design wurde ersonnen von Malcolm Sayer, ein vom Flugzeugbauer Bristol zu Jaguar gekommener Aerodynamiker. Für passenden Vortrieb sorgte ein Reihensechszylinder mit 3,8 Litern Hubraum, drei SU-Vergasern und 265 PS, was ein Spitzentempo von 240 km/h erlaubte. Da der Jaguar nur 1168 Kilo wog, benötigte der Sportler für den Sprint von 0 auf 100 km/h nur knapp sieben Sekunden. Man konnte ihn als Coupé und als Cabrio kaufen, wobei die geschlossene Variante 1000 Mark mehr kostete. Kurz: Das Auto war eine Sensation. Wie auch das, was rund um seine Geburt in Soho und bald auch den angrenzenden Londoner Stadtteilen passierte. Ganz Swinging London wurde einer der größten Fashionhotspots der Welt. Hier zeigte ein Christian Dior seine neuesten Kollektionen, zum Beispiel im West End 1966. Auch Mary Quant gehört als Erfinderin von Minirock und Hot Pants zu den ganz wichtigen Zeitzeugen mit Boutique in der King’s Road – klar wurde ihr Bubischnitt von Starcoiffeur Vidal Sassoon persönlich geschnitten. Das androgyne Klappermodell Twiggy war der wohl berühmteste Kleiderständer jener Zeit und trug als erste den Miniskirt, eine der prägenden Klamotten der 60er – natürlich besaß auch sie einen E-Type. Zu den ersten Supermodels gehört auch Jean Shrimpton, die auf allen Magazinen von Vogue, Harper’s Bazaar bis zu Vanity Fair prangte (2012 nennt die „Time“ sie eine der 100 einflussreichsten Fashionikonen aller Zeiten). Sie wurde oft abgelichtet von Starfotograf David Bailey. Der Londoner Künstler bannte die Swinging Sixties besonders beeindruckend auf Filmrollen: Der Mann nahm jeden vor die
DESIGN / LEGENDEN UND IKONEN BOLD THE MAGAZINE // 35 Linse, der in den 1960ern irgendetwas darstellte in der Öffentlichkeit. Regisseur Michelangelo Antonioni baute ihm mit seinem Film „Blowup“ 1966 ein Denkmal, da der Protagonist David Hemmings auf dem Leben von Bailey basierte. Das zeitgenössische „it“-Paar waren übrigens Beatle Paul McCartney und die Schauspielerin Jane Asher. Als passender Meilenstein der Popkultur der 60er gilt das Beatles Album „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“, dessen Cover die damalige Pop-Art-Ikone Peter Blake schuf. Die Launch-Party fand mitten in Swinging London statt, nämlich in Manager Brian Epstein’s Apartement in der Chapel Street. Schon ein Jahr vorher überzeugten die Rolling Stones mit ihrem Album „Aftermath“, in dem sie alles psychodramatische um Liebe, Sex, Enttäuschung, Kraft, Dominanz, Hass, Obsession, Gesellschaft und Starkult thematisierten. Zu den britischen Mitgliedern der wichtigen Kunstszene gehörten aber auch Pop-Künstler David Hockney und der Kunsthändler und Galerist Robert Fraser, Spitzname „Groovy Bob“. Ab 1962 gab es eine Galerie in der Duke Street, hier zeigte und promotete er eine Menge Arbeiten wichtiger britischer und amerikanischer Künstler. Bei den Designern gehörte Ossie Clark zur Hautevolee, der unter anderem von Yves Saint Laurent und Tom Ford stark beeinflusst wurde. Ein gutes Beispiel von typischem „Swinging-TV“ der 1960er Jahre (1961 bis 1969) gilt die Serie „The Avengers“, die bei uns als „Mit Schirm, Charme und Melone“ lief. Spielte Patrick Macnee den konservativen und sehr britischen, aber immer humorvollen Gentleman John Steed, so verkörperten Diana Rigg als Emma Peel, Honor Blackman als Cathy Gale und Linda Thorson als Tara King die intelligenten, stylishen und durchsetzungsfähigen Co-Protagonisten. Während die Avengers allerdings nur gegen erdachte Bösewichte angingen, regierten im East End (London) die beiden echten Gangsterbosszwillinge Ronald und Reginald Kray – die Starfotograf David Bailey natürlich auch verewigte. Allerdings wurden beide wegen Mordes 1969 verurteilt und verschwanden für den Rest ihres Lebens hinter Gittern. „Was so alles geschieht, in der Carnaby Street ...“ war ein passendes Liedchen von Schlagersternchen Peggy March, auch wenn sie es erst 1970 trällerte, als sich die Swinging Sixties so langsam verabschiedeten. Der Jaguar E-Type setzte derweil dank cleverer Modellpflege seine Erfolgsstory fort. Bereits im Frühjahr 1966 erschien – vor allem auf Wunsch der amerikanischen Klientel – ein um fünf Zentimeter verlängertes Coupé, der E-Type 2+2 für die Kleinfamilie. Im März 1971 betrat dann der ultimative E-Type die Bühne: Die mit einem 5,3 Liter-V12 ausgestattete Serie III. Einen Zwölfzylinder gab es damals sonst nur noch bei Ferrari und Lamborghini. Dazu kam ein nach wie vor exzellentes Preis-Leistungsverhältnis: „Jaguar hat es fast geschafft, einen Ferrari zum halben Preis anzubieten,“ stellte das amerikanische Fachblatt Car & Driver fest. In 14 Jahren erlagen mehr als 72.500 Käufer den Reizen der Raubkatze. Mehr als respektabel, hatte Jaguar doch ursprünglich nur eine Kleinauflage von 1.000 Stück angedacht. Doch auch nach dem Produktionsstopp im Oktober 1974 sorgte der E-Type für Furore: Seit 1996 ziert ein stahlblauer E-Type Roadster als auto-mobiles Kunstwerk die Dauerausstellung des New Yorker Museum of Modern Art. Als laut Hersteller legitimer Nachfolger des E-Type feierte der Jaguar F-TYPE auf dem Pariser Salon 2012 seine Weltpremiere. Der Sportwagen ist noch heute – wie der E-Type damals – als Coupé und Cabriolet zu haben. Daneben stellte Jaguar 2015 sechs nagelneue E-Type Lightweight auf die Räder – weil sie schon in den sechziger Jahren geplant waren, aber nie gebaut wurden. Preis pro Stück: 1,4 Millionen Euro. Hintergrund: 1963 sollten 18 „Special GT E-Type“ entstehen, und ein zum Glück übereifriger Mitarbeiter vergab auch gleich 18 Fahrgestellnummern dafür. Allerdings wurden nur zwölf Stück tatsächlich produziert – elf sind heute noch existent. Die Autos – gefertigt in der Motorsportabteilung und alle mit einem S in der Chassisnummer versehen – waren für die Teilnahme an GT-Rennen homologiert und waren immerhin 114 Kilo leichter als die Basis, der E-Type Roadster. Ihren Nimbus verdanken die Leichtbauten übrigens ihre ständigen Einsätze als Hochzeitsautos: Graham Hill, Jackie Stewart, Roy Salvadori und
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