38 // BOLD THE MAGAZINE INTERVIEW / HOZIER Hozier hatte gerade sein Musikstudium abgebrochen, als er auf dem Dachboden des Hauses seiner Eltern den Song „Take Me To Church“ schrieb. Es sollte sein Leben verändern. Mit „Unreal Unearth“ ist aktuell sein drittes Album erschienen – ein episches und tiefgründiges Werk. Im Interview verrät der 33-Jährige, was die Platte mit Dantes Inferno zu tun hat, warum seine irischen Wurzeln darauf durchscheinen und wie viele Streams man für ein Hühnchen-Dinner braucht. Mit seinem Sound zwischen Soul und Pop, dem von religiösen Begriffen geprägten Text über eine Beziehung und einem bildgewaltigen Musikvideo, das ein Statement gegen Homophobie setzte, schlug sein erster Song „Take Me To Church“ sofort ein. Zehn Jahre ist das her, und seitdem ging es für Hozier, der mit vollem Namen Andrew Hozier-Byrne heißt, stetig bergauf. Sein zweites Album „Wasteland, Baby!“ erreichte die Spitze der amerikanischen Charts, für seine jüngst absolvierte Tour verkaufte er in nur 24 Stunden eine halbe Million Tickets, und „Take Me To Church“ ist inzwischen auf Platz 29 der am meisten gestreamten Songs aller Zeiten auf Spotify. Nachdem Ihr letztes Album „Wasteland, Baby?“ ein Soundtrack zur drohenden Apokalypse war, ist „Unreal Unearth“ nun von Dantes Inferno inspiriert. Was hat Sie dazu bewegt und: Müssen wir uns Sorgen machen? (Lacht) Während der Pandemie hatte ich plötzlich sehr viel Zeit zur Verfügung und fand Gefallen daran, Bücher zu lesen, die ich immer schon mal hatte lesen wollen. Ich tauchte ein in die Metamorphosen von Ovid, habe mich an epische Poesie wie die Beowulf-Übersetzung des irischen Dichters Seamus Heaney gewagt und las auch Dantes Inferno. Darin geht es im Grunde um die Sinnsuche eines Mannes, der in etwas hineingerät und am anderen Ende wieder herauskommt. Um eine Reise. Und genau das wollte ich mit dem Album widerspiegeln, weil ich das Gefühl hatte, dass die Pandemie für uns alle eine Art Reise war. Wie meinen Sie das? Wir alle haben viel durchgemacht, haben vielleicht Dinge verloren oder mussten Veränderungen vornehmen, die wir eigentlich nicht geplant hatten, und kamen trotzdem am anderen Ende wieder heraus. Darauf wollte ich anspielen, ohne ein Pandemie- oder Lockdown-Album zu machen. In den Songs finden sich einige Verweise auf Dantes Inferno, aber es ist sehr lose und verspielt. Das Inferno beschreibt Dantes Reise durch die neun Kreise der Hölle. Die finden sich auch in den Songs, oder? Ja, das Album ist eine lockere, spielerische Umsetzung der neun Kreise – Vorhölle, Lust, Völlerei, Gier, Zorn, Häresie, Gewalt,
INTERVIEW / HOZIER BOLD THE MAGAZINE // 39 Betrug, Verrat. Der erste Song „De Selby“ reflektiert die Dunkelheit, den Abstieg. Der Song ist benannt nach einem Charakter aus einem Buch des irischen Schriftstellers Flann O’Brien. Er ist irre, ein Wahnsinniger in einer Art Alice-im-Wunderland-Geschichte. „I, Carrion (Icarian)“ ist von der Geschichte von Ikarus inspiriert und steht am Ende des Kreises Lust, direkt nach „Francesca“. Ein Kreis hat auch zwei Songs, während der Song „Abstract“ nicht wirklich in einen Kreis gehört. Klingt kompliziert. Haben Sie das alles im Kopf oder haben Sie sich Schaubilder gemalt? Mir kommt es gar nicht so kompliziert vor (lacht). Aber ja, ich hatte schon ein paar Schaubilder. Manche Songs habe ich einfach geschrieben und erst später ergab sich, in welchen Kreis sie passen, andere habe ich bewusst für einen Kreis geschrieben. Es hat mir einfach sehr viel Spaß gemacht, die Songs mit vielen verschiedenen Stimmen zu schreiben. In jedem Canto trifft der Protagonist jemand anderes. Eine andere Geschichte, eine andere Perspektive, eine andere Person, die durch die Hölle irrt. Am Ende des Albums steht „First Light“, der Aufstieg. Der letzte, tiefe Atemzug und eine Dankbarkeit dafür, es geschafft zu haben. Was mir bei all dem aber wichtig war, ist, dass die Songs auch einzeln funktionieren. Wer tiefer eintauchen möchte, kann das tun. Aber Songs wie „Francesca“ und „To Someone From A Warm Climate (Uiscefhuaraithe)“ sind gleichzeitig auch einfach Liebeslieder. Tiefer eintauchen konnte man bei Ihrer Musik schon immer. Mit dem Song „Swan Upon Leda“ haben Sie sich für das Recht auf Abtreibung eingesetzt, und „Nina Cried Power“ ist eine Hommage an Künstler wie Nina Simone oder Bob Dylan und deren Protestsongs. Ist es Ihnen wichtig, dass Ihre Kunst diese zweite Ebene bietet? Wenn es möglich ist, ja. Es gibt Songs, die nicht so sehr danach streben wie andere, und es macht Spaß, Stücke zu schreiben, die etwas leichter oder alberner sind. Aber diese zweite Ebene ist schon etwas, womit ich gerne spiele. Es gibt ja das unmittelbare Hören, das zweite Hören und das 100. Hören – und ich hoffe eben, dass für die, die tiefer graben wollen, auch beim 100. Mal noch etwas in meinen Songs zu finden ist. Sind Sie jemand, der generell viel nachdenkt? Ich habe ja keinen Vergleich. Aber ich muss sagen, ich schlafe nicht besonders gut. Wenn man alleine ist, ohne Ablenkung, dann fängt das Gehirn an zu arbeiten. Also ja – vermutlich denke ich recht viel nach. Ich könnte deutlich mehr schaffen und machen, wenn ich nicht so viel dasitzen und nachdenken würde. Es dauert bei mir auch sehr lange, bis ein Song fertig ist. Eine zusätzliche Ebene bieten oft auch Ihre Musikvideos. Es ist sicherlich kein Zufall, dass in dem Video zu „Eat Your Young“ die ukrainische Schauspielerin Ivanna Sakhno zu sehen ist, oder? Nein, wobei es nicht so ist, dass ich bewusst eine Schauspielerin aus der Ukraine gesucht habe. Ivanna und ich haben uns kennengelernt, als wir beide in Los Angeles gearbeitet haben, und wir wurden Freunde. Wir sprachen viel über die Invasion durch Russland, und sie engagiert sich da auch sehr. Was kann denn Popmusik überhaupt ändern, wenn es um so große Themen wie Homophobie, Abtreibungsrechte oder Krieg geht? Nicht viel, fürchte ich! Ich glaube, Songs sind bloß ein Vehikel für die Zeit, sie können sie zusammenfassen oder einfangen. Vor 100 Jahren hat ein irischer Revolutionär mal gesagt, es gibt keinen revolutionären Geist, der ohne poetischen Ausdruck auskommt – ich glaube das stimmt. Jede Bürgerrechtsbewegung, jede Revolution hatte ihre Songs. Aber es sind die Menschen, die die Veränderung anstoßen. Der Song fängt nur das Gefühl ein. Apropos Gefühle einfangen – in der zweiten Hälfte Ihres Albums, die deutlich düsterer und ruhiger klingt, scheinen Ihre irischen Wurzeln durch. Sie singen vom Ort Gweebara und dem irischen Wort: Uiscefhuaraithe. Was hat es damit auf sich? Uiscefhuaraithe ist ein irisches Wort für das Gefühl der Kälte, die ein Objekt durch Wasser erlangt, zum Beispiel, wenn man einen Stein aus einem Fluss nimmt. Als
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