44 // BOLD THE MAGAZINE ART / HÖRENSWERT „Je mehr ich meine Verletzlichkeit zeige, desto mehr werde ich geliebt.“ Samu Haber über das Ende seiner Band Sunrise Avenue, seine Therapie und sein neues Soloalbum „Me Free My Way“. Mit seiner Band Sunrise Avenue hat Samu Haber einen Rekord nach dem nächsten aufgestellt: Sämtliche zwischen 2007 und 2023 veröffentlichten Alben und Singles, darunter Hits wie „Hollywood Hills“ und „Fairytale (Gone Bad)“, erreichten Platinund Goldstatus und waren hierzulande insgesamt über 1.263 Wochen in den offiziellen Charts. Die Shows der finnischen Band waren stets ausverkauft, und mit seiner sympathischen Art wurde Haber als Coach zudem Publikumsliebling bei „The Voice of Germany“. Trotzdem entschied er eines Tages, all das hinter sich zu lassen. Löste die Band auf, räumte den Coach-Stuhl – und widmete sich erst mal seiner psychischen Gesundheit. Nach einem Album auf Finnisch ist er nun mit seinem ersten englischsprachigen Soloalbum „Me Free My Way“ zurück. Im Interview verrät er, warum der Titel sein Mantra ist, weshalb der Neustart nötig war, und wie er heute mehr auf sich selbst achtet. Herr Haber, Ihr neues Album trägt den Titel „Me Free My Way“. Ist das Ihr Mantra? Das ist es! Wenn man den Song das erste Mal hört, könnte man auch denken, es ginge darum, jemanden zu verlassen. Aber es bezieht sich natürlich auch auf den Schritt, den ich als Künstler gegangen bin, denn ich bin jetzt alleine unterwegs. Mental und emotional war das ein großer Schritt für mich. Also ja, es ist ein Mantra: Ich kämpfe mir den Weg frei. Der Titel ist aber auch inspiriert von den Geschehnissen in der Welt. Viele Menschen müssen für ihre Werte kämpfen und eine Menge dafür geben, das Leben zu leben, das sie sich wünschen. „They’re saying what a waste / Throwing everything away / But I need to go my own way”, singen Sie in dem Titelstück. Haben die Leute in Ihrem Umfeld Sie eigentlich für verrückt erklärt, als Sie 2019 das Ende Ihrer Band Sunrise Avenue verkündet haben? Ja, alle! Obwohl – nicht alle. Die, die mich gut kennen, wussten schon seit einer Weile über meine Gefühle Bescheid. Ihnen erzählte ich seit Jahren, dass ich nicht mehr glücklich bin und die Dinge sich nicht in eine gute Richtung entwickeln. Ich habe dem Ganzen ja noch viel Zeit gegeben und wir haben versucht, Wege zu finden. Aber die, die mich wirklich lieben, meinten: „Mach es“. Meine Mutter, meine besten Freunde, wichtige Menschen. Sie sagten „wir werden an deiner Seite sein“. Ich habe großes Glück, diese Menschen zu haben. Aber die Leute aus der Musikindustrie haben mich natürlich alle für verrückt erklärt, deswegen hatte ich schon Angst.
ART / HÖRENSWERT BOLD THE MAGAZINE // 45 Sie haben ja nicht nur Sunrise Avenue aufgelöst, sondern auch Ihre Position als Coach bei „The Voice of Germany“ aufgegeben, um dann ein Album auf Finnisch aufzunehmen. Karrieretechnisch also dreifacher Selbstmord. Aber drei Selbstmorde ergeben dann vielleicht eine Wiedergeburt (lacht). Wissen Sie, wir haben ja nur dieses eine Leben und ich will nicht in Sicherheit leben, nur um Risiken zu vermeiden. Davon abgesehen kann man das Leben sowieso nicht kontrollieren und ich bin sehr glücklich mit allem, was ich getan habe. Mein finnisches Album stieg Zuhause auf Platz 1 der Charts ein, was mich total überraschte, und ich hatte eine großartige Zeit auf Tour. Und bei „The Voice“ bin ich jetzt ja auch zurück. Das Leben ist lustig: Manchmal lässt man etwas los und man findet dadurch das Gleiche, nur in einer besseren Version. Manchmal auch nicht – aber das Leben geht weiter. Warum hatten Sie denn überhaupt das Bedürfnis, alles hinter sich zu lassen? Wenn wir darauf in diesem Gespräch eine Antwort finden, wären Sie eine richtig gute Therapeutin! Aber vielleicht ist die Antwort einfach, dass niemand mehr richtig glücklich war. Klar gab es noch tolle Momente, aber es fühlte sich nicht mehr wie Zuhause an. Sunrise Avenue war das tollste Projekt, das ich mir je hätte vorstellen können, und ich habe gegen keinen in der Band etwas – aber das Feuer war einfach nicht mehr da. Ich bin aber sehr stolz, dass, obwohl die Emotionen natürlich etwas schwierig waren, als ich es den anderen sagte, wir unsere Abschiedstour gespielt haben. Zu den Shows kamen 390.000 Leute, und es war wunderbar. Ich werde nie vergessen, wie wir uns nach der letzten Show umarmten. Erzählen Sie mal – wie fühlte der Abschied sich an? Unsere letzte Show war in Düsseldorf in der Arena. Ich dachte, wir würden danach die Instrumente abgeben, uns verbeugen, dem Publikum danken und so. Aber als der letzte Song vorbei war, hatten wir alle Tränen in den Augen, kamen ohne zu sprechen alle vor dem Schlagzeug zusammen und umarmten uns für zwei Minuten. Wirklich. Die Leute jubelten und weinten. Das war der schönste Moment, den ich je mit Sunrise Avenue erlebt habe. Es war so toll. Wir alle hatten unterschiedliche Gefühle für das, was geschehen war, aber das Ende hätte nicht schöner sein können. Als ich dann wieder Backstage war, saß ich da, mit einem Bier in der Hand, und starrte einfach nur die Wand an. Sie sprachen an, dass Sie nicht mehr glücklich waren. Vor sechs Jahren haben Sie sich in Therapie begeben. Wann haben Sie erkannt, dass Sie das brauchen? Tief in mir drinnen wusste ich das schon lange. Aber du machst noch eine Tour und noch eine und noch eine. Kaufst dir noch ein Boot, machst noch eine Staffel „The Voice“ oder was auch immer. Eines Tages war ich dann in Australien und es ging mir plötzlich so schlecht, dass ich ins Krankenhaus musste. Dort machten sie alle möglichen Ultraschall-Untersuchungen, Bluttests und so weiter – und irgendwann fragte mich der Arzt, ob ich schon mal mit dem Gedanken gespielt hätte, mit einem Therapeuten zu sprechen. Vorher wollte ich das nie, denn wissen Sie, in Finnland kennen mich die Leute ... ... und am nächsten Tag steht es in der Zeitung? Nicht mal unbedingt das, aber der Therapeut könnte Vorurteile haben, schon ein Bild von mir im Kopf, wenn ich reinkomme. Aber in Australien fühlte sich das sicher an. Der Arzt dort half mir, die Tür zu meiner Seele zu öffnen, sozusagen. Ich versprach ihm, dass ich Zuhause nach einem Therapeuten suchen würde. Und ich gehe immer noch dorthin. Alle zwei Monate , um einfach über das Leben zu sprechen. Es ist interessant, meine eigenen Bedürfnisse, Wünsche und Hoffnungen zu erkennen. Was haben Sie über sich gelernt? Das Wichtigste ist, sich selbst zu verstehen und so zu akzeptieren, wie man ist. Die eigenen Emotionen zu verstehen, wo sie herkommen. Denn natürlich hat das mit der Vergangenheit und Herkunft zu tun. Aber auch zu wissen: Wer bin ich jetzt? Was ist wichtig und was will man? Und dadurch auch zu verstehen, woher die Ängste oder seltsamen Verhaltensweisen der Leute um einen herum kommen. Das hilft einem, mit allem etwas mehr in Frieden zu sein.
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